Über Vanessa Beecroft
erschienen in Monopol
Kann Kritik am Voyeurismus durch exzessiven Vollzug desselben noch raffinierter werden? Vanessa Beecroft tritt mit ihren nackten Covergirls im Frankfurter Museum für Moderne Kunst auf
Irgendwann schweifen die Blicke ab
Dann sieht man die Kuhaugen im Publikum. Sie weiden sich an dem, was Beecroft hier wie Vieh darbietet. Zählen die Dellen im Hintern, inspizieren die rasierten Schamlippen, betrachten die herausstechenden Rippen der Magersüchtigen, das puppenhafte Köpfchen der Rothaarigen.Irgendwann schweifen die Blicke ab. Gehen zu Oliver Reese, dem Intendanten des Frankfurter Schauspiels, der in der zweiten Reihe steht, zu Tobias Rehberger, Frankfurts Lieblingskünstler, der sich publikumswirksam hinter das pummelige Mädchen hockt. Der schneidige Kunststudent mit den auftoupierten Haar bekommt viel Aufmerksamkeit, und auch die Männer mit den surrenden Super-8-Kameras, von denen keiner recht weiß, ob sie zur Performance gehören oder nicht. Beobachtung der fremden und der eigenen Welt.Natürlich kann man jetzt die Interpretationsmaschine anwerfen und das alles als bewusstseinsschärfendes Kunsterlebnis deuten, das – zwar mit plakativen und scheinbar affirmativen Methoden – Sexismus und Sadomasochismus in der Kunst- und Modewelt hinterfragt und den Betrachter zwingen will, das eigene Betrachten kritisch zu reflektieren. Als Beobachtung der Beobachtung der Beobachtung.
Fleischbeschau mit Stirnrunzeln
Allerdings sollte das kunstsinnige Publikum bei der zügellosen Fleischbeschau durch nachdenkliches Stirnrunzeln signalisieren, wie die Kritik des Voyeurismus‘ durch exzessives Ausüben desselben noch raffinierter wird. Nicht umsonst gemahnt die Frauenstimme in Beecrofts Preformance wiederholt: „You are part of a bigger picture!“ – „Sie sind Teil eines größeren Bildes!“ Und: „The Performance is not Entertainment!“
Doch dann spürt man plötzlich diesen heißen Atem im Nacken. Das Publikum steht eng gedrängt, Rücken drücken sich gegen Brüste, Hände streifen Hüften. Beim Hinausgehen kleben Kuhaugen auf den Hintern. Die Performance ist noch lang nicht zu Ende. Sie geht im Foyer erst richtig los.
(c) SARAH ELSING Eine Version dieses Textes erschien zuerst am 25. November 2010 in Monopol.
Bild: „VE53 Vanessa Beecroft“ by Fabio Omero under Creative Commons License
- Medium - Monopol
- Datum - 25. November 2010