Über Sven Regers Blogs

Kein Wort über Königgrätz: Der Musiker und Schriftsteller Sven Regener hat seine Blogs gesammelt. „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner“ sind ein geniales Hybrid zwischen Roman und Tagebuch – und das lustigste Druckerzeugnis dieses Frühlings.

Sven Regener, dem Autor der legendären Herr-Lehmann-Trilogie und Sänger der Band Element of Crime, ist nicht ganz klar, was das mit dem Bloggen überhaupt soll, als berlin.de im Sommer 2005 auf die Idee kommt, er solle die Erlebnisse der letzten zehn Tage vor dem Erscheinen der neuen Element of Crime-Platte in einem eigenen Blog festhalten. „Das ist Promo“, erklärt Thorsten von Universal, der Regener ein halbes Jahr später auch noch einen Advents-Blog auf Zuender.zeit.de aufnötigt. Sven Regener erinnert sich an eine schreckliche Jubiläumssendung beim SFB, bei der er sich mit Otto Sander ordentlich die Kante gegeben habe. Alle zehn Minuten sei Sander aufgestanden und für die Kameras durch den Saal gelaufen. Damals habe er verstanden, was „Promo“ sei.

Dialoge beherrscht er wie kein Zweiter

 Als „Promo“ könnte man gewissermaßen das ganze Buch bezeichnen, das Regener jetzt unter dem Titel „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner“ herausgebracht hat, denn es besteht nur aus Blogs. Neben dem berlin.de- und dem Advents-Blog gibt es einen Blog über die „Element-of-Crime-Tour“ 2007, einen Blog über einen Band-Ausflug nach Nashville und Blogs mit den irreführenden Titeln „Sex auf der Buchmesse“, „VÖ heißt nicht Vorderes Österreich“, „Die letzte U-Bahn geht später“ und „Männer mit Spielplan“. Alle hat Regener von 2005 bis 2010 seiner Plattenfirma zu Liebe geschrieben. Doch zum Glück entsteht, wenn man diese Blogs am Stück liest, kein schlaffes „Promo“-Flickwerk, sondern ein literarisch hochinteressantes Hybrid zwischen Tagebuch und Roman und ein echter Regener, der ja bereits mit „Herr Lehmann“ (2001), „Neue Vahr Süd“ (2004) und „Der kleine Bruder“ Leser wie Rezensenten begeisterte.

Über was überhaupt schreiben, fragt sich der Autor zu Beginn. „Wenn man wenigstens eine anständige Verschwörungstheorie am Start hätte, irgend so einen total doofen Quark, den man jetzt unter die Leute bringen könnte, oder eine total bescheuerte, von keiner Ahnung getrübte Meinung.“ Dieses anfängliche Fremdeln mit dem Medium überwindet Regener mit der Erfindung des alten Kumpels „Hamburg-Heiner“, kurz „HH“, mit dessen Hilfe er ein Element einführt, das dem Wesen des Blogs eigentlich fremd ist, das der Autor aber beherrscht wie kein Zweiter: Dialoge, die wohl zu den absurdesten und witzigsten der deutschen Gegenwartsliteratur gehören.

So wirkmächtig kann ein Blog nicht sein

Immer wenn das Blog an Schwung zu verlieren droht, wenn auch die nebensächlichsten Themen (Erdnüsse auf Bussitzen, Off-Tage, Psycho-Kämpfe mit FRK, dem „Frühstücksraum-Kellner“) ironisch durchgenudelt sind und nicht einmal sinnlose Essens- oder Schuhfotografie mehr weiterhelfen, ruft plötzlich Hamburg-Heiner an. Mit ihm diskutiert Sven dann das Wahngebilde, das die Firma Windel dazu brachte, das schöne Lied „O Tannenbaum“ in ihrem Gesangsheftchen „by windel for unicef“ im 4|4- und nicht im ¾-Takt zu notieren.

Hamburg-Heiner meint: „Wenn schon Jahrhundert, dann das 18.“ Firm ist Hamburg-Heiner auch in Konsumkritik („Vielleicht ist der Flowery Golden Tippy Orange Pekoe First Flush von Starbucks auch ein Parteiprogramm.“) und Stilkritik: „HH: Das ist mir aber jetzt schon aufgefallen, dass du neuerdings das ,sich‘ in deiner Prosa auf eine Weise hintanstellst, wie es nur adornobesessene Kulturwissenschaftler der früher 80er Jahre noch sich trauten, Freund! Sven: Man könnte tagelang damit sich vergnügen, es würde auf Dauer aber als prätentiös sich entlarven, fürchte ich.

Deshalb mal was anderes: Wirst du heute Abend in der Altersdorfer Sporthalle sein?“ Unter dem Titel „Ohne Roger ist alles Asche!“ fragen sich die beiden im Buchmessen-Blog, wo die legendäre „Arno-Schmidt-Gesellschaft“ ihren Stand hat, die eigentlich unter dem Kopfschmerz-Kürzel „ASS“, „Arno-Schmidt-Stiftung“, firmiert. Hamburg-Heiner glaubt, die ASS-Leute hätten nach der Lektüre des Regener-Blogs die Flucht ergriffen. Sven darauf: „So wirkmächtig, Kamerad, so wirkmächtig kann ein Blog nicht sein.“

The endless Streams of Laber

Und doch verfolgt Regener mit seinem „VÖ heißt nicht Vorderes Österreich“-Blog für standard.at das nicht unehrgeizige Ziel, erstens dem ß wieder zu mehr Geltung zu verhelfen und zweitens Österreich und Deutschland endlich miteinander auszusöhnen. Der Österreich-Blog ist Regeners witzigster, weil knackigster Blog von allen. Hier übertrumpft ein Kalauer den anderen, der Running Gag „Kein Wort über Königgrätz“ wird bis an die Grenze des Wahnsinns ausgereizt, und auch Hamburg-Heiner läuft zur Höchstform auf. Von meisterlich lakonischer Komik sind auch die kleinen Stadtporträts, mit denen Regener den Österreichern Deutschland als Urlaubsland näherbringen will. Glanzlicht der Regenerschen Schwachsinnsfotografie – die er geschickt als Übertragung des „Eisensteinschen Montage-Prinzips“ auf die Digitalfotografie tarnt – ist die verwackelte Fotostrecke „Samba-Karnevals-Straßenbahnfahrt“ durch die Wintertristesse von Bremer Ausfallstraßen.

Was am Ende all dieser Blogs heraus kommt, ist eine äußerst amüsant und überdies natürlich klug zu lesende Aneinanderreihung von Nonsense, wie wir ihn bereits aus den Dialogen des Herrn Lehmann mit seinen Kreuzberger Bierphilosophen kennen. Oder, wie Regener es nennt: „The endless Streams of Laber“. Deshalb greift Hamburg-Heiner immer wieder ordnend ein: „Sven! Schluss jetzt! Du hast einen Laberflash! Das will doch kein Mensch lesen!“ Da müssen wir vehement widersprechen: Doch, wollen wir!

(c) SARAH ELSING

Eine Version dieses Textes erschien zuerst am 11. März 2011 im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Bild: Sven Regner by endless autumn under Creative Commons License

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