Über grünes Bauen

Dem einen bleibt die Spucke weg, wenn er einen Vortrag vor Fachpublikum hält, der andere wird schon rot, wenn er einer Handvoll Journalisten seine Modelle erklärt. Dabei beschäftigen Wong Mun Summ und Richard Hassel mittlerweile achtzig Mitarbeiter, ihr Singapurer Büro wird als das innovativste in ganz Südostasien gefeiert. Die WOHAS, wie sie sich selbst nennen, sind das Gegenmodell zu den sogenannten Stararchitekten, die bisher die internationale Architekturszene beherrschten. Die Überhöhung des eigenen Selbst zum Vor-, Quer- und Großdenker, die viele ihrer berühmten Kollegen bei öffentlichen Auftritten praktizieren, liegt ihnen nicht.

Auch die Inszenierung als kompromisslose Ästheten (das ewige Schwarz, die ewig gleiche Corbusier-Brille) ist ihnen fremd. Zur Eröffnung ihrer großen Solo-Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main kommt der Singapurer Summ in Karohemd und Pulli. Hassel, der Australier, trägt ein T-Shirt, eine graue Wolljacke und eine Jeans, die auch für Ausflüge ins Outback angemessen wäre. Der unprätentiöse Aufzug der Mittvierziger ist Programm. Auch ihre Gebäude sehen auf den ersten Blick unscheinbar aus. Keine extravaganten Formen, keine Gurken, Phalli oder zerknüllten Papierkugeln, sondern rechtwinklige Türme, die entfernt an die Chicagoer Schule mit ihren Stahlskelettkonstruktionen erinnern.

Und doch wird WOHA in letzter Zeit mit Preisen überschüttet. Im vergangenen Jahr gewannen sie mit ihrem Wohnhochhaus „The Met“ in Bangkok den RIBA International Award und den Internationalen Hochhaus-Preis Frankfurt. Sie stachen damals sogar den „Burj Khalifa“ aus, den spektakulären Bau von Skidmore, Owings und Merrill in Dubai, der mit seinen knapp 830 Metern das höchste Gebäude der Welt und dreimal so hoch wie „The Met“ ist. Was ist das Besondere an den Entwürfen dieser bescheidenen Männer aus Singapur?

Die WOHAS haben das getan, was bei Hochhäusern bislang als Todsünde galt: Sie haben die Fenster geöffnet und die schützende Glasfassade abgenommen. Denn anders als in den kalten Gefilden, in denen das Hochhaus erfunden wurde, sind die Bewohner in tropischen Regionen dankbar für jeden Luftzug, der durch ihre Räume zieht. Wie die traditionellen malaysischen Kampung-Häuser ist das Hochhaus kein massiver Baukörper, sondern gleicht einer porösen Struktur, durch die der Wind streifen und damit Wände und Böden kühlen kann. An der Fassade wuchert eine Wand aus Pflanzen, die wie ein Schirm vor Sonne schützt, aber trotzdem genug Licht ins Innere lässt. Statt mit dem Lift auf egal welches Stockwerk geschossen zu werden und sofort in ihrer abgeschlossenen Wohneinheit zu verschwinden, bewegen sich die Bewohner von „The Met“, als wären sie auf der Straße. Auf dem Nachhauseweg gehen sie durch Laubengänge und Parks, vorbei an Spielplätzen und Pools, über begrünte Balkons und schattige Terrassen. In diesen Oasen versammeln sich die Nachbarn wie früher unter der schützenden Krone des Banyanbaumes. Nie hat man das Gefühl, in einem Hochhaus zu sein, sondern auf ebener Erde.

Man könnte denken, dass sich eine solche Ausnahme-Architektur nur eine reiche Elite leisten kann. In den ultradicht besiedelten Megacities Asiens lebt die Mehrheit nach wie vor in von Frischluft und Tageslicht abgeschlossenen Zellen anonymer Hochhausanlagen. „Frische Luft und ein angenehmer Ort zum Leben sollten kein Luxus sein“, sagt Richard Hassell. In Singapur haben WOHA schließlich auch Türme für den öffentlichen Wohnungsbau gebaut. „Die funktionieren nach dem gleichen Prinzip wie „The Met'“, betont Wong. Man kann sich gut vorstellen, wie dieser Menschenfreund im Singapurer Großraumbüro neugierig die Ohren spitzt, wenn ein Mitarbeiter bei einem Projekt Bedenken anmeldet.

Hassell, der ehemalige Kunststudent, wäre beim wöchentlichen Barbecue am Freitagabend sicher der Erste, der sich zum neuen Praktikanten setzt. Nachhaltigkeit – das spürt man im persönlichen Umgang mit Wong und Hassel – heißt für WOHA eben nicht nur Kosten, Raum und Ressourcen zu sparen, sondern so zu bauen, dass die Menschen sich in den Gebäuden wohlfühlen. Und optimalerweise lässt sich der einmal entwickelte Ansatz später auf alle möglichen Formen und Größen übertragen. In der Tat sieht die Kunstschule, die WOHA 2010 in Singapur gebaut haben, wie ein auf der Seite liegendes „Met“ aus. Eine wenig ansprechende Gestalt, wenn man sie mit dem eleganten Schwung von Norman Fosters Gurke vergleicht. Aber solche Kategorien interessieren WOHA nicht. „Wir haben uns nicht auf eine bestimmte formale Richtung festgelegt, die der Ausdruck unserer Künstlerseele ist“, sagt Hassell. „Einen wiedererkennbaren ‚WOHA-Style‘ gibt es nicht. Wir finden eine bestimmte Form nur nützlich, wenn sie unseren höher gesteckten Zielen dient.“ Im Fall der Kunstschule sei das Ziel, einen Rahmen zu bieten, innerhalb dessen man lernen kann, die Welt anders zu sehen und unterschiedliche Perspektiven einzunehmen, fügt Wong hinzu.

Deshalb verschränkt sich in WOHAS Kunstschule der öffentlich zugängliche Gebäudesockel, in dem Künstler Konzerte und Theateraufführungen geben, mit dem geschützten Experimentierfeld der Schule darüber. Wie „The Met“ ist auch die Schule eine natürliche Windmaschine. Es gibt ein begrüntes Atrium und einen Sportplatz auf dem Dach, aber am liebsten halten sich die Schüler in den Zwischengängen auf – dort wo es zugig und dunkel ist. Das Prinzip der Durchlässigkeit, der Auflösung von Innen und Außen findet sich bei WOHA in allen Gebäudetypen: In den einstöckigen Luxusvillen auf Bali, im Entwurf für ein multifunktionales Stadtteilzentrum und im 206 Meter hohen Hotel- und Büroturm „Oasia“, den WOHA gerade in Downtown Singapur errichten.

In Mumbai planen sie aktuell eine gigantische Anlage mit zehn Wohntürmen und 4300 Wohnungen. „Für Europäer klingt das gigantisch“, sagt Hassell. „Aber in den asiatischen Megacities sind solche Riesenprojekte die einzige Möglichkeit, die extreme Wohnungsnot in den Griff zu bekommen.“ Darauf hoffte ein chinesischer Investor, der WOHA dafür gewinnen wollte, „The Met“ auch in Shanghai zu bauen – hundert Mal. „Das haben wir abgelehnt“, erzählt Wong. „Wir müssen doch erst einmal herausfinden, wie ein Chinese gerne lebt und wie man in diesem Klima am besten baut.“ Eine solche Herangehensweise irritiert Geldgeber zunächst. Auch die Singapurer Baubehörden waren anfangs skeptisch. Öffentliche Gärten in einem Bürohochhaus? Ein Stadion auf dem Dach eines Stadtteilzentrums?

Heute lässt sich die Stadtverwaltung von WOHA städtebaulich beraten und hat deren selbst gestecktes Ziel zur Vorschrift gemacht: In jedem Hochhaus-Neubau in Downtown müssen mindestens 100 Prozent der Grundfläche begrünt sein. Im neuen „Oasia Downtown“ sollen sogar 700 Prozent der Grundfläche grün werden.

Der Investor hatte sich eine einprägsame Form gewünscht. WOHA bauen ihm jetzt einen porösen Turm mit grüner Krone. Ein ziemlich zotteliger Geselle wächst da bald neben den schicken Nachbarhochhäusern. Er ist nicht so formvollendet wie eine Gurke, aber erstaunlich menschenfreundlich für eine Stadt wie Singapur. Eben wie die WOHAS selbst.

 

(c) SARAH ELSING

Eine Version dieses Textes erschien zuerst am 11. Dezember 2011 im Feuilleton der Welt.

Bild: „The Met“ by Jay under Creative Commons License

So wird die Zukunft gebaut: Das Singapurer Büro WOHA wird für seine Hochhäuser mit Preisen überhäuft. Und in Frankfurt mit einer Museumsretrospektive geehrt. Ein Porträt

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