Über Götter und Gummitiere

Jeff Koons ist ein konservativer Künstler, dessen handwerklich perfektes Werk tief in der Kunstgeschichte schürft. Das ist die Botschaft, die uns Liebieghaus und Schirn mit ihrer groß angelegten Ausstellung in Frankfurt verkaufen wollen.

Daher stehen Koons Arbeiten im Liebieghaus auch inmitten der exquisiten Sammlung antiker und mittelalterlicher Skulpturen. Kein Exponat wurde verschoben, keine Wandfarbe geändert, nur ein wenig Platz musste natürlich sein. Und so hockt Koons Michael Jackson aus Porzellan vor einer Reihe altägyptischer Pharaonen. Alle haben die Augen schön umrandet, den King of Pop schützt ein Sarkophag aus Glas und von weitem ergeben seine Umrisse fast die Form einer Pyramide.

Michael Jackson in Gizeh. Mit größerem Aplomb könnte der Rundgang kaum beginnen. Aber es geht noch lauter: Im hinteren Saal überstrahlt eine hochglanzpolierte „Balloon Venus“ in schreiend-pink die antiken Marmorköpfe und Reliefs an der Wand. Sie ist Teil von Koons neuer Serie „Antiquity“, die nun weltweit erstmals gezeigt wird. Die „Balloon Venus“ hat ihre Rundungen allerdings von der altsteinzeitlichen „Venus von Willendorf“. Ihre Brüste sind so schwer, ihr Hintern so gigantisch, als drohten sie gleich zu platzen. In ihrem blank geputzten Bauch bewegt sich der Betrachter nur noch als kleine, groteske Spiegelung seiner selbst.

Neben solcher Wucht kann kein antikes Götterhaupt bestehen. Und doch erzählen beide Figuren dieselbe Geschichte, suggeriert die Ausstellung. Immer geht es um Eros, die Idee der Familie und ihrer Erhaltung – also letztlich um Sex. Die einzig wahre Erzählung, die die Menschheit besitzt, wie Koons findet. Er übersetzt diese scheinbar zeitlose Erzählung, für die Griechen Götter und Mythen brauchten, in seine eigene Formensprache. Er entwickelt eine popkulturell grundierte Ikonografie, die jeder sofort versteht.

Im Mittelalter konnte jeder Analphabet im „Altar der Himmelfahrt Mariä“ von Andrea della Robbia auf Anhieb die Marienerzählung lesen. Er ergötze sich an der Pracht der Farben und nahm die Erinnerung an die reine Jungfrau Maria mit nach Hause, vielleicht sogar ins Bett. Genau da setzt Koons an. Die direkte, voraussetzungsfreie Ansprache des Betrachters. Natürlich richtet sich sein Interesse etwas eindimensional auf den sexuellen Aspekt der Marienverehrung. Aber immerhin wird die Analogie zu seiner „Woman in a Tub“, die in der Liebieghaus Skulpturensammlung vor dem Marienaltar planscht, sofort deutlich.

Gerade für jemanden wie Jeff Koons, dem die perfekt geglättete Oberfläche so wichtig ist, liegt der Blick auf die Kunst des Altertums nahe. Denn auch den alten Griechen ging es um direkte Ansprache. Ihre Marmorskulpturen waren so bunt, so strahlend, so perfekt ausgeführt, dass sie fast lebensecht wirkten. Auf einen solchen Effekt zielt auch Koons.

In der Gummihaut des Spielzeug-Delfins, der im Liebieghaus kopfüber von der Decke hängt, sieht man noch die Liegefalten vom Transport. Fast glaubt man den Gummigeruch in der Nase zu haben, dabei ist das Tier ein 360 Kilogramm schwerer Stahlkoloss. Neben Mimesis und handwerklicher Perfektion lassen sich noch andere Parallelen zu den Jahrhunderte alten Exponaten der Liebieghaus-Sammlung entdecken – vor allem auf formaler Ebene.

Koons funktioniert gut in einer Umgebung wie dem Liebieghaus, dessen Exponate den meisten von uns ohnehin kaum mehr sind als schöne Formen. Schwieriger wird es, wenn die Arbeiten für sich alleine stehen wie jetzt in der Schirn, deren Gemäldegalerie genauso hell und „optimistic“ ist, wie Koons es sich gewünscht hat. Neben älteren, bekannten Serien sind hier die neuen „Antiquity“-Bilder zu sehen, die Koons Beschäftigung mit dem Altertum ebenfalls hervorgebracht hat.

Auf dem Computer legt Koons mehrere Bildschichten übereinander. Erst einen abstrakten Farbhintergrund aus Öl oder stark vergrößerten Farbkreisen, dann das Abbild einer antiken Skulpturengruppe, darüber ein typisches Koonsmotiv wie die auf einem Plastikdelfin reitende Betty Page in Unterwäsche und schließlich übermalt er das Ganze mit einer stilisierten Vagina samt Brustwarze, die auch ein Segelboot und eine Sonne sein könnten. Alles Formen, die schon die Antike kannte. Vor expliziten Darstellungen scheute man sich damals nicht.

Klar, das Bunte, das Laute, das Sexuelle dieser Bilder spricht den Betrachter auf einer banalen Ebene sofort an, vor allem den männlichen. Ob es eine zweite Ebene darüber gibt, bleibt fraglich. Und das ist letztlich auch das Problem im Liebieghaus.

Im Gegensatz zu den antiken Göttern sind Koons Skulpturen eindimensional. Sie bedeuten eben nicht eine komplexe Welt, in der es Erleuchtung geben kann, Wiedergeburt oder eine Jungfrau Maria. Auch wenn Koons auf Zeitlosigkeit hinarbeitet, sind seine Arbeiten Zeugnisse einer popkulturell dominierten Gegenwart, die sich über Vaginas und aufgeblasene Gummitiere definiert. Wenn das die einzige Formensprache sein soll, die wir verstehen, und Sex die „einzig wahre Erzählung der Menschheit“, na dann, gute Nacht.

(c) SARAH ELSING

Eine Version dieses Textes erschien zuerst am 19. Juni 2012 im Feuilleton der Welt

Bild: „Balloon Dog de Jeff Koons (Versailles)“ by Jean-Pierre Dalbéra under Creative Commons License

Vergesst alles, was Ihr über Koons im Kopf habt! Kein Kitsch, kein Neo-Pop, keine Sexbesessenheit, nicht das ewige Selbstvermarktungsgenie im Vertreteranzug

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