Mythos Gold

Für das Aurimentum Magazin 2020

Ein Königssohn führt die noch zu erobernde Geliebte in seine Schatzkammer. Zwei Wachen öffnen das schwere Portal, forsche Schritte durch die kirchenhohe Halle, eine Geheimtür, dahinter eine schmale Treppe hinab in die Katakomben. Kühle Luft, Neonröhren, eine Grabesstille, die der junge Mann mit Summen zu vertreiben sucht. Schlüsseldrehen, die 50 Zentimenter dicke Panzertür quietscht in den Angeln, dann betreten sie das Allerheiligste. In der Mitte ein altarähnlicher Klotz. Der Königssohn lüftet die Bubble-Wrap-Decke und Goldbarren kommen zum Vorschein. Knapp 80 Stück, säuberlich gestapelt auf einer Euro-Palette. Es glitzert und glänzt.

Der ganze Tresorraum scheint zu glühen. Der Geliebten wird warm. Sie tritt näher an den lichten Tisch und sonnt sich. „Leg Deine Hand drauf. Du musst es fühlen“, sagt der Königssohn, der jahrelang blind war und erst seit Kurzem wieder vage Umrisse durchschimmern sieht. „Erst in der Berührung erkennst Du den wahren Wert. Das sagt sogar Trump.“ Fast zitternd streichen die Finger der Geliebten über das Gold und den eingeprägten Schriftzug „Rekord“. Sie ist sofort beruhigt. Ganz sicher jetzt. „So warm und weich, als wollte Gott meinen Fingerabdruck nehmen.“ „Ich hab noch was viel Besseres“, jubelt der Königssohn. „Komm nach oben. Ich schenk Dir was!“ Übermütig zieht er die Geliebte am Arm. Ihr Diamantring ratscht dabei über das Gold und hinterlässt einen schwarzen Kratzer. „Komm!“ Die Geliebte wundert sich, will ihren Prinzen aber nicht bloßstellen.

Oben in der Halle stürmt der Königssohn zu einer Vitrine, in der 97 unterschiedlich lange Halsketten nebeneinander hängen. Alle golden und mit unterschiedlich großen, schlichten Würfeln als Anhänger. Er nimmt die längste, die mit dem größten Würfel, und legt sie der Geliebten um. „Das hier sind die amerikanischen Goldreserven. 8.133,46 Tonnen geteilt durch 320,7 Millionen, die Einwohnerzahl der USA. Dieser Würfel sichert die gesamte Weltwirtschaft. Du bist mein Goldstandard. Und das hier ist mein Fort Knox.“

Eine blasse Frau mit rotblonden Haaren tritt hinzu. „Johann, sei nicht albern!“ Sie streicht über die Goldketten wie über die Saiten einer Harfe. Aber es klackert nur. „Du bist blind und das hier ist zwar Dein Reich. Aber Dein Schloss besteht aus Waschbeton, Dein Vater herrscht noch, den Goldstandard gibt es nicht mehr und Deine Goldbarren sind Kohle-Briketts von der Tankstelle.“

Diese Szene ist zwar ausgedacht, aber sie trifft den Kern dessen, was den Mythos Gold ausmacht. Der junge Galerist Johann König, Sohn des großen Kurators und Museumsdirektors Kaspar König, verkauft weit mehr als den materiellen Wert eines Kunstwerkes. Sein symbolischer Wert trägt zum kulturellen und sozialen Kapital des Käufers bei, und ist die Eintrittskarte zu einem kleinen Kreis an Eingeweihten. Wie die Echtheit eines Kunstwerkes mit Zertifikaten garantiert und sein Wert im aktuellen Diskurs immer wieder überprüft wird, bürgt die aufgestempelte 999 für den höchsten Reinheitsgrad von Gold und die in Fort Knox gebunkerten Barren sorgten jahrzehntelang dafür, dass die ganze Welt dem Dollar traute. Auch wenn Richard Nixon 1971 diese Verabredung spektakulär aufkündigte, glauben wir den Wert des Papierdollars, weil schon unsere Großmütter ihn jederzeit in Gold umtauschen konnten. So wie ein Siebdruck von Andy Warhol jederzeit in flüssiges Kapital verwandelt werden kann und dann andere Sammler glücklich macht.

Johann König, der Sohn des Sonnenkönigs der europäischen Kunst, handelt letztlich also mit Gefühlen. Emotionen, die ein Sammler, eine Geliebte oder ein Gold-Investor gleichermaßen empfinden, wenn sie im Tresorraum das Allerheiligste berühren: Sicherheit, Vertrauen, Reichtum, Beständigkeit, im besten Falle Ewigkeit. Und die Vorstellung, einen Splitter des Himmels in den Händen zu halten.

Aber nicht erst Johann Königs noch zu erobernde Geliebte machte diese körperlich spürbare Erfahrung, Gott wolle im Gold ihren Fingerabdruck nehmen. Schon die Inkas glaubten, ihr Gold sei ein Geschenk des Sonnengottes und wüchse nach, solange die Menschen ein gutes Verhältnis zu den Göttern pflegten. So konnte der gefangen genommene Inka-König Atahualpa dem spanischen Eroberer Pizarro sorgenfrei versprechen, seine Zelle bis zur Decke mit Gold zu füllen, wenn er frei käme. Die Inkas hielten ihr Versprechen, sterben musste ihr König trotzdem.

Der Überfluss an geraubtem Gold brachte das Heimatland Spanien derart durcheinander, dass es in spanischen Folterkellern Schwerverbrechern sogar in die Kehle gegossen wurde. So steht es bei Shakespeare und so geschah es der antiken Sage nach schon Marcus Crassus, dem reichsten Mann von Rom. Das war sicher nicht so schön anzusehen, wie die mit einer 14 Karat-Lösung übergossene Bond-Geliebte Jill Masterson in „Goldfinger“. Zwar starb die Schauspielerin Shirley Eaton nicht am Set den Erstickungstod wie die Gerüchte lauteten, aber das Foto ihrer vergoldeten nackten Schönheit, ein echtes Bild für die Götter, schaffte es 1964 sogar auf das Cover des Life Magazines.

Gold veredelt den Tod und führt den Menschen in die Ewigkeit. Die Goldmünzen, die die alten Römer ihren Toten auf die Zunge legten, damit sie die Überfahrt ins Totenreich bezahlen konnten, sind nur ein schwacher Abglanz der Goldpracht, die die alten Ägypter für ihre verstorbenen Könige auffuhren. Der Goldschatz, den der Archäologe Howard Carter 1922 im Grab Tunenchamuns entdeckte, löste eine internationale Ägyptomanie aus. Allein die aus reinem Gold gegossene, mit Edelsteinen besetzte Totenmaske des jungen Pharaos wiegt ca. zehn Kilogramm und ist sechs Milliarden Dollar wert. Aber der Wert der Originale ist unschätzbar.

Dass Menschen seit jeher himmlischen Glanz und Ewigkeit im Gold erkennen, mag metaphysisch klingen, hat aber einen geologisch-astronomischen Ursprung. Die beim Urknall vor Milliarden Jahren entstandene Materiewolke enthielt auch Schwermetalle – darunter Platin, Silber und Gold. Ein Teil dieser Wolke verdichtete sich zu Planeten, eben auch unsere Erde, die das schwere Metall in ihrem Inneren einschloss.

Seit jeher nehmen Menschen unendliche Mühen auf sich, um Gold aus diesen Tiefen wieder ans Tageslicht zu holen. Die Geschichten darüber füllen Bibliotheken und Kinosäle: Vom Goldenen Vlies der Antike und König Midas in Ovids Metamorphosen über den biblischen Tanz ums goldene Kalb bis hin zum Goldrausch in Kalifornien und den dazugehörigen Hollywood-Western. Nur zu gern erinnern sich viele an die „goldenen Zeiten“, als sie sorgenfrei „Winnetou und das Gold der Apachen“ lasen oder mit Dagobert Duck ins Goldtaler-Bad tauchten.

Die Faszination Gold hat aber auch ganz praktische Gründe: Es lässt sich gut einschmelzen und eine Goldkette passt in die Hosentasche jedes Auswanderers. In größeren Mengen kann es sogar Leben retten. So wie sich die Familie von Peter Munk mit einem Koffer Goldbarren die Ausreise aus dem von den Nazis besetzten Budapest erkaufen konnte. Im kanadischen Exil wurde Munk ein erfolgreicher Unternehmer und Mäzen, seine Firma „Barrick Gold“ ist heute das größte Goldbergbauunternehmen der Welt.

„Barrick Gold“ macht es heute wieder wie die Inkas: Es sucht Gold im Weltall – bei den Göttern. Denn auf der Erde sind die oberflächlichen Ressourcen langsam ausgeschöpft. Gut 150.000 Tonnen wurden der Erde bisher entnommen. Das klingt viel, aber alles Gold der Menschheit würde geschmolzen einen Würfel von nur 20 Metern Kantenlänge ergeben.

Mini-Versionen dieses Würfels verkauft Johann König als Kettenanhänger in seiner Galerie in Berlin. Sie sind Teil des Kunstwerks „Goldvolks“ (2015) von Alicja Kwade, der blassen Frau mit den rotblonden Haaren aus der Anfangsszene. Ihre Goldketten nehmen den Mythos Gold auseinander – ein aufgeribbelter goldener Vlies, der metallisches Klackern statt weicher Harfenmusik hervorbringt, wenn man darüber streicht. Als zeitgenössische Alchimistin hat sie auch Tankstellenkohle zu Gold gemacht. Unter dem Namen „Kohle (Rekord)“ (2006) landete diese Trickster-Arbeit tatsächlich in Johann Königs Depot. Anfassen darf sie aber nicht jeder. Es ist ja Kunst, kein Gold.

Es stammt aus dem Universum und liegt tief in der Erde begraben. Etliche Sagen und Mythen ranken sich das seltene Edelmetall. Noch heute nehmen Menschen unendliche Mühen auf sich, um es in allen Teilen der Welt zu finden. Warum?

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Damian Hirst / Werte Magazin