Über John Pawson

Mit schwirrendem Kopf betritt sie die weiße Kugel. Der Lärm der Straße, Pablo Picassos Frauen, Max Beckmann, die Twomblys nebenan. Noch springt ihr Geist gleichsam im Viereck. Dann – ganz langsam – legt sich eine wohltuende Ruhe auf ihr Gemüt. Sie nimmt die ebenmäßige Rundung der Kuppel wahr, das Licht, das durch den feinen Spalt in der Mitte fällt, die weiche Form der Sitzbank, auf der sie unwillkürlich Platz genommen hat. Sie atmet aus.Erleichtert vom Zuviel des Alltags betritt die Besucherin die Ausstellung – offen für Feinheiten, die sie sonst vielleicht übersehen hätte. Solch reinigende Raumerlebnisse schenkt John Pawson den Besuchern des Architekturmuseums in der Münchner Pinakothek der Moderne. Für die erste große Ausstellung seiner Werke in Deutschland hat der britische Architekt einen eigenen Raum gestaltet. Denn mit Modellen und Fotografien allein lässt sich nicht erfassen, was das Besondere dieser Architektur ausmacht.John Pawson ist ein Meister der Einfachheit. Vom Gebäude bis zum Kerzenhalter – alles folgt in klaren Linien der Idee: Nur in der Leere offenbart sich die Schönheit. In seinem eigenen Londoner Wohnhaus verschwinden sämtliche Küchen- und Wohnzimmermöbel hinter raumhohen Schränken. Weiße Decken, Wände, Böden. Nur ein langer Holztisch steht in dem lang gezogenen Raum, der fast unmerklich in eine hell beschienene Terrasse übergeht. Und doch wirken Pawsons Räume nicht leer – sie zeigen maximalen Minimalismus, die Fülle der Leere sozusagen. Denn Pawsons Einfachheit entsteht nicht durch Weglassen, Vereinheitlichen, Entfernen oder schlicht durch einen weißen Anstrich. In intensiver, oft mühsamer Detailarbeit versucht er, die Essenz eines Ortes freizulegen. Daraus ergibt sich für ihn die Form, die für diesen Ort angemessen ist: ein perfekt aufeinander abgestimmtes Zusammenspiel von Licht und Schatten, von Farbe, Material und Proportionen. So verkörpern John Pawsons Bauten das, was Donald Judd mit „Minimalismus“ meinte: „Der einfache Ausdruck eines komplexen Gedankens.“Neben der Minimal Art waren es vor allem die japanische Kultur und der Zen-Buddhismus, die John Pawson zu seiner Ästhetik der Einfachheit inspirierten. Wie die Mönche, die meditieren, um einen Zustand der geistigen Leere und Klarheit zu erreichen, verzichtet Pawson auf jede Art persönlicher Eitelkeit und architektonischer Opulenz, um das Wesentliche eines Raums zum Vorschein zu bringen. Ein solch spiritueller Ansatz prädestiniert regelrecht dazu, einen Sakralbau nach dem anderen zu bauen. Auch verwundert es nicht, dass gerade die Zisterzienser, die ein karges Leben nach strengen Regeln führen, die Ersten waren, die Pawson um einen Klosterneubau für eine neue Ordensgemeinschaft in Tschechien baten.In einem entlegenen Winkel Böhmens verwandelte Pawson eine marode Hofanlage in einen ephemeren Ort der inneren Einkehr. Das barocke Herrenhaus wurde restauriert, auf den Grundmauern der alten landwirtschaftlichen Gebäude entstanden neue, minimalistische Bauten, die zusammen mit der strahlend weißen Abteikirche einen fast klassischen Klosterkomplex samt Kreuzgang und Klostergarten ergeben. Wer die Abteikirche oder die kleine frei stehende Kapelle betritt, dem offenbart sich gleich der Satz des heiligen Bernhard von Clairvaux: „Gott ist Licht“. In Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Zisterzienser nutzt Pawson das natürliche Licht als zentrales Gestaltungsmittel. Lang gestreckte Lichtbänder, die an beiden Seiten von Mittelschiff und Chor entlanglaufen, führen den Blick nach vorn zu Apsis und Altar. Dort strahlt es weiß. Nichts, das die Konzentration der Mönche ablenken könnte. Kein Gold, kein Pomp, kein heiliger Nippes. Ähnlich radikal entrümpelt Pawson zurzeit die St.-Moritz-Kirche in Augsburg. Nach ihrer Neugestaltung wird der Kirchenraum ein reiner, ganzheitlicher Ausdruck sein – ganz Licht.Trotz dieser Strenge hat Pawsons Architektur nichts Abweisendes. Im Gegenteil. Intuitiv will man die leuchtenden Wände berühren, die hellen Linien mit dem Finger entlangfahren, das Brückengeländer antasten, das in der Abendsonne so wohlig warm schimmert. Der sinnliche Eindruck ist für Pawson der Schlüssel zum Verständnis seiner Architektur. Er ist überzeugt, dass durch Gefühle – durch das, was das Auge sieht, was die Hand berührt – eine Verbindung mit der Philosophie des Raumes entsteht. Im Optimalfall ist dieser Geist noch im Kerzenhalter zu spüren. Daher macht Pawson keinen Unterschied zwischen der Gestaltung eines Klosters, eines Stuhls, einer Brücke oder einer Yacht. Für ihn ist alles Architektur. Welcher Architekt könnte besser geeignet sein für den Umbau des Londoner Commonwealth Institute zum weltweit größten Designmuseum, den Pawson gerade stemmt?

Wo der Ästhet Pawson seine Formen und Vorbilder findet, zeigt sein fotografisches Memoire „A Visual Inventory“, das in München in einem eigenen Raum an die Wand projiziert wird. Impressionen, die er auf Reisen findet, fügen sich zu unwahrscheinlichen Paaren. Eine vertikale Aluminiumarbeit von Donald Judd und der Rohbau eines New Yorker Apartmenthauses von Richard Meier. Der Kreuzgang des Zisterzienserklosters in Böhmen und eine Flucht von Tiefkühltruhen in einem kalifornischen Supermarkt. Formal haben diese Bilder viel gemeinsam. Man muss nur ein Auge dafür haben. Wer sich von Pawsons Doppelbilder aufsaugen lässt, lernt die Aufmerksamkeit zu schärfen, den Blick zu verfeinern. Dann offenbart es sich sogar im Zuviel des Alltags: das Stille, das Klare, das Schöne.

(c) SARAH ELSING

Eine Version dieses Textes erschein zuerst am 23. April 2012 im Feuilleton der Welt.

Bild: „John Pawson House“ by Nicolas de Camaret under Creative Commons License

Reinigende Raumerlebnisse: München zeigt das Werk des britischen Meisters des Minimalismus John Pawson

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