Über weibliche Blicke

Der weibliche Blick – unschuldig, sanft und von unermesslicher Güte. So malte ihn Botticelli der schönen Simonetta Vespucci ins Gesicht, und aus dem lebendigen Mädchen wurde ein „Weibliches Idealbildnis“, als das es heute im Museum hängt. Und zu Recht. Denn mit einem solchen Blick entspricht die Dame gleich doppelt dem männlich imaginierten Ideal von Weiblichkeit: nicht nur schön, sondern auch demütig. Angesichts der stillen Poesie, mit der Anette Selg von Simonetta schreibt, wirken Überlegungen solcherart schnell wie albernes Säbelrasseln altfeministischer Prägung. Wer Sinn für Schönheit hat, legt das Analysebesteck der Genderforschung beschämt zur Seite. Denn nur frei von Angst vor dem männlichen Blick kann ein so sinnlicher Text wie der von Anette Selg überhaupt entstehen. Nur so kann ein unschuldiges Renaissancemädchen einer waidwunden Frau von heute überhaupt Trost spenden – und das mit einem Blick, den ihr Botticelli, ein Mann, gegeben hat.

Anette Selgs Beitrag ist sicher einer der intimsten in dem von Petra Müller und Rainer Wieland herausgegebenen Band „Frauen schön und stark“, in dem insgesamt vierundfünfzig Frauen von heute über die Schönen in der Kunst schreiben. Und längst nicht alle dieser Frauen enthalten sich kritischer Anmerkungen zu den teils erschreckend naiven Idealbildern von Weiblichkeit, die ihnen vor allem männliche Großmeister vorsetzen. Denn gerade das Nebeneinander von Analyse und Poesie, von Reflexion und Sinnlichkeit, lässt diesen Bildband so herrlich schillern. Neben kenntnisreichen kunst- und kulturwissenschaftlichen Erläuterungen wie denen von Aleida Assmann, Elisabeth Bronfen und Christina von Braun lesen wir Berichte über ganz persönliche Erfahrungen – zum Beispiel wie Birgit Vanderbeke Adorno untreu werden musste, um Gauguin zu lieben – und formal und sprachlich höchst gelungene Beiträge wie den von Jenny Erpenbeck über das berühmte Bild der sich unsittlich berührenden Herzoginnen aus der Schule von Fontainebleau. Von hier ergeben sich plötzlich unvermutete Bezüge zu den Politikerinnen Antje Vollmer und Marianne Birthler, die über den straffen Busen von Delacroix‘ Freiheit und die nach männlichen Maßstäben ausnehmend hässliche „Lutherin“, Katharina von Bora, sinnieren.

Unvermeidlich sind indes auch einige Auftritte, die nach Selbstvermarktung aussehen. So schreibt Thea Dorn in wunderbarer Vorhersehbarkeit und brachialem Stil über Judiths Lust am Morden, während Silvana Koch-Mehrin mit dem „One-Night-Stand“ von Europa und dem Stier „ein Signal setzen“ will. Da ist Elke Heidenreichs Idee, das Geplapper einer dümmlich dreinschauenden Gesellschafts-Dame zu protokollieren, fast wohltuend, wenn auch nicht gerade im Sinne einer Überwindung stereotyper Geschlechterkonstruktionen. In diesem Sinne argumentiert stattdessen die Theologin Uta Ranke-Heinemann, die an Murillos „Unbefleckter Empfängnis“ zeigt, wie die zölibatäre Männerkirche Maria ihre eigenen sexualfeindlichen, zölibatär-neurotischen Züge einschrieb. Obwohl an Jahren immerhin eine Generation jünger, denkt die Modeschöpferin Gabriele Strehle um einiges traditioneller. Sie lobt den großen Rubens, weil er seine Frau trotz Dellen liebte. Dass Frauen, die dankbar sind, wenn Männer freundlich über vermeintliche Makel hinwegsehen, die Makel erst zu solchen machen, kommt ihr nicht in den Sinn.

„Wie gestrig!“, kann Martina Rellin da nur rufen. Angesichts der selbstbewussten Schiele-Frauen, die sie als Zwanzigjährige im Wiener Überangebot an Frauenkörpern entdeckt, werden die verführerischen Jugendstil-Damen zu Tapetenmustern, die Cranach-Evas zu schillernden Kochschinken-Attrappen, und für eine junge Frau sind Rubens‘ Matronenwesen keineswegs Ikonen der Emanzipation, sondern die Androhung einer fernen Zukunft mit Cellulitis und Adipositas. Das ist natürlich wenig poetisch, für ein Buch über die Schönen in der Kunst aber erfrischend ehrlich.

Petra Müller und Rainer Wieland (Hrsg.): „Frauen schön und stark“. Frauen von heute über die Schönen der Kunst. Knesebeck Verlag, München 2009, 128 S., geb., 19,95 [Euro]

 

(c) SARAH ELSING

Eine Version dieses Textes erschien zuerst am 9. Februar 2010 im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Bild: „botticelli“ by bob under Creative Commons License

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