„Charlotte, Charlotte! Lauf nicht so schnell!“ Eine Frauenstimme hallt durch die hohe Eingangshalle des Prinzessinnenpalais am Bebelplatz, unweit des Berliner Stadtschlosses. Doch gemeint ist nicht Charlotte von Preußen, für die und deren Schwestern Luise und Alexandrine König Friedrich Wilhelm III. das prachtvolle Rokokogebäude Unter den Linden errichten ließ. „Das hier ist ein Museum“, ruft die Frau weiter. „Hier darf man nicht so rennen.“

Im September 2018, knapp 300 Jahre nach Grundsteinlegung und einige An-, Um- und Neubauten später ist in das frisch sanierte Gebäude das Palais Populaire eingezogen, das neue Zentrum für Kunst, Kultur und Sport der Deutschen Bank.

An diesem grauen Sonntagvormittag im März rennen besonders viele Kinder durch das Foyer. Slalom durch den Museumsshop, einmal im Kreis um den schön verspiegelten Empfangstresen und wieder zurück zu den Eltern, die im Restaurant „Le Populaire“ ihren Cappuccino genießen. Die Sicherheitsleute sind heute mal nicht so streng. Denn es steht Familienbrunch auf dem Programm. Samt Führungen für Kinder und Erwachsene und einem Kreativ-Workshop im Anschluss. „Meistens, gerade zu Beginn einer neuen Ausstellung, ist das Event ausgebucht“, berichtet Elisabeth Klotz, die heute die Kinderführung leitet.

An einem der quadratischen Tische im Restaurant „Le Populaire“ sitzen die Ecksteins. Die Familie ist geradezu Stammgast in den Kunsthallen der Deutschen Bank. Tochter Helena nimmt schon seit sieben Jahren an den Kinderführungen teil. Die Ergebnisse der Kreativ-Workshops hängen zu Hause im Flur. Vater Bernhard ging früher mit seinen Kollegen von der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung zu den Lunch-Führungen in die  nahe gelegene „Deutsche Guggenheim“, dem Vorläufer des Palais Populaire ein paar hundert Meter die Straße Unter den Linden herunter. „Das war immer sehr komfortabel. Wir wurden intellektuell angeregt, haben uns amüsiert, auch manchmal aufgeregt und bekamen nachher noch ein gutes Mittagessen. Da war selbst für mich der Zugang leichter, als sonst ins Museum zu gehen“, sagt der 57-Jährige.

Regelmäßig nehmen die Ecksteins Freunde und Verwandte mit zu den Kunstevents der Deutschen Bank. Heute ist der amerikanische Austauschstudent Brian O’Gara dabei. „Gerade weil jetzt Skulpturen aus der Londoner Tate zu sehen sind, dachten wir, das wäre etwas für ihn. Das kennt er sicher noch nicht“, sagt Eckstein.

Betrachtet man die Ecksteins durch die „Time Maschine“, die Virtual Reality-App des Palais Populaire, erscheint die Szenerie in ganz anderem Ambiente. Statt grauem Sichtbeton und schlichtem Mobiliar tauchen plötzlich plüschige Stühle und klassizistische, bunte Wandpaneele auf. So sah es hier zu DDR-Zeiten aus, als das Operncafé in dem Gebäude residierte. Im Zweiten Weltkrieg zerstört, baute der DDR-Architekt Richard Paulick, ehemaliger Assistent von Walter Gropius am Bauhaus in Dessau, das Prinzessinnenpalais 1963 nach. Ein Stahlbetonbau hinter barocker Fassade. Dreht man sich einmal um die Achse, zeigt die „Time Maschine“ auch, wo Paul und Paula, die Protagonisten des 1973 entstandenen Kultfilms „Die Geschichte von Paul und Paula“, tanzten. So populär war der Ort schon damals.

Brian, der amerikanische Austauschstudent der Ecksteins, ist begeistert, was ihm seine Gastfamilie in Berlin alles zeigt. „Hier ist alles so modern, aber hat trotzdem Geschichte.“ Dieser Gegensatz wird besonders in der aktuellen Gestalt des Prinzesinnenpalais sichtbar. Für das Palais Populaire wurden die Räume vom renommierten Berliner Architekturbüro Kuehn Malvezzi neu gestaltet. Hinter der historischen Hülle öffnen sich nun großzügige, helle Räume in zeitgenössischem Ambiente.

Gestärkt von Pancakes und Fish und Chips schließen sich die Ecksteins der Führung durch die Ausstellung „Objets of Wonder“ an. Die 15-Jährige Helena geht heute bei den Erwachsenen mit. Gezeigt werden siebzig Werke aus der Sammlung der Tate in London, die seit Mitte des letzten Jahrhunderts den Begriff der Skulptur revolutioniert haben. Das Spektrum reicht von Ikonen der Nachkriegsmoderne wie Henry Moore und Barbara Hepworth bis zu Stars der Young British Artists wie Damien Hirst und Tracey Emin.

Vor dem Film „A Portrait of the Artists as Young Men“, in dem sich Gilbert & George als lebende Skulptur inszenieren, erzählt die Führerin, dass sie einmal ein Paar durch die Ausstellung geführt habe, das zu DDR-Zeiten im Prinzessinnenpalais geheiratet habe. „Die Frau war freitags auch oft zur Disko hier.“ Die Deutsche Bank setzt mit dem Palais Populaire also in gewisser Weise den Amüsierbetrieb der DDR fort. „Wenn das nicht mal eine interessante Fügung der Geschichte ist, oder?“

„Wir sind hier an einem Ort, an dem sich nichts sehnlicher gewünscht wurde, als dass hier wieder das Leben einzieht“, sagt Svenja von Reichenbach, Leiterin des Palais Populaire. Tatsächlich war das Prinzessinnenpalais seit der Schließung des Operncafés 2012 geschlossen. „Die große Baustelle am Stadtschloss und die langwierigen Renovierungsarbeiten in der Staatsoper haben dazu geführt, dass diese Gegend fast zehn Jahre lang nicht gerade stark besucht war“, berichtet Reichenbach. Auch der wunderbar begrünte Bebelplatz zwischen Staatsoper und Prinzessinnenpalais war jahrelang mit einem Bauzaun abgesperrt.

„Dass das jetzt alles wieder begehbar ist und wir mit einem offenen Haus so viele Berliner und Berlin-Besucher hier willkommen heißen können – was ja Kern unseres Engagements als Deutsche Bank ist – das ist großartig und wird auch hervorragend angenommen.“ Auch wenn der Ort sich erst wieder als interessante Kunst- und Begegnungsstätte in der öffentlichen Wahrnehmung verankern muss.

Doch das sehr vielfältige Programm macht den Zugang leicht. Neben wechselnden Kunstausstellungen aus der Sammlung Deutsche Bank, dem „Deutsche Bank Artist of the Year“ und Kooperationen mit internationalen Partnerinstitutionen wie aktuell mit der Tate locken Konzerte und Events zu Sportthemen auch Menschen ins Palais Populaire, die bisher weniger Kontakt mit Kunst und Kultur hatten. In der Talk-Runde „Thilo trifft…“ hatte Moderatorin Andrea Thilo zuletzt den Extrembergsteiger Stefan Glowacz und Schauspieler Benno Fürmann zu Gast. „Das Konzept Kunst, Kultur und Sport unter ein Dach zu bringen, ist sehr gut aufgegangen“, freut sich Reichenbach.

Für eine Kunsthalle geht es im Palais Populaire an diesem Familienbrunch-Sonntag tatsächlich ungewohnt laut und lebendig zu. Besonders wenn es gilt, die schöne Rundtreppe mit dem antiken, schmiedeeisernen Treppengeländer aus Schloss Buch herunterzustürmen. Zurück zum Lieblingskunstwerk. Und das ist bei Jung und Alt trotz all der gezeigten Wunderdinge – Landart von Richard Long, einer frühen, ungewohnt politischen Arbeit von Tony Cragg und dem in Deutschland so beliebten Anish Kapoor, vor dessen ultramarinfarbenen Halbkugel ein Besucher im Laufe des Nachmittags sogar niederknien wird – die vor sich hin blubbernde Schaumskulptur „Cloud Canyons“ von David Medalla.

Interessant ist, dass gerade Kinder schnell die grundlegenden Fragen stellen: „Was ist eine Skulptur? Muss sie hart, aus Marmor, Gold oder Silber sein? Was ist überhaupt Kunst? Und warum macht man Kunst?“ „Weil es schön ist“, kommt prompt die Antwort. Ganz andächtig beugen die Kinder sich über das das warme Licht aus Richard Wentworths Skulptur „Yellow Eight“ – zwei aneinander geschweißte Metalleimer, deren Inhalt erst wie Wasser, dann wie Gold, dann wie ein von oben beschienener Spiegel erscheint. Und so entstehen im anschließenden Kreativ-Workshop im Atelier unterm Dach die erstaunlichsten Eimer- und Schaumskulptur-Variationen.

Auch Helena Eckstein und ihr amerikanischer Gastbruder Brian haben sich mit an den Basteltisch gesetzt. „Zum kreativen Gestalten ist man eben nie zu alt“, sagt Kunstführerin Elisabeth Klotz lachend. Aufgereiht nebeneinander ergeben die Kreationen am Ende selbst eine wunderbare Ausstellung der heute entstandenen, ganz individuellen „Objects of Wonder“.

Im Sommer, wenn die neue Ausstellung „Summer of Love“ über Kunst, Mode und Musik der Hippie-Bewegung in vollem Gange ist, soll es auch draußen auf dem Bebelplatz Konzerte und Events geben, verrät Leiterin Reichenbach. Wer die Szenerie dann durch die Time Machine-App betrachtet, erlebt vielleicht eine weitere erstaunliche Überblendung von Zeit und Raum: eine virtuelle Charlotte von Preußen, die im Prinzessinnengarten zur Musik von Jimmy Hendricks tanzt.

Kunstpalais für alle

Mit dem Palais Populaire hat die Deutsche Bank im Herzen Berlins ein kreatives Zentrum für große und kleine Liebhaber von Kunst und Kultur geschaffen. Ein offenes Haus für alle

Reportage für WERTE 19/2020 Premiumkunden Magazin der Deutschen Bank

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Porträt Ruth Weiss

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Damian Hirst / Werte Magazin